Was denkt die junge Generation über den neuen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP in Sachen Außen- und Europapolitik? Unser Präsidium und unsere Programmleiter*innen haben die Vorhaben der neuen Bundesregierung genauer unter die Lupe genommen und hier kommentiert.

Politische Statements von Polis-Mitgliedern

 

Polis Präsidium (Lukas Hochscheidt, Ricarda Lindau & Lisa Marie Rumpf)

Eine Verkehrsampel hat gemeinhin drei Stufen: Stopp, Warten und freie Fahrt. Insofern passt das Bild der Ampel nicht nur farblich zur neuen Regierungskoalition – auch politisch charakterisiert sich der Koalitionsvertrag durch einen Mix aus Aufbruch, Status quo und dem Stoppen bisheriger Denkweisen. In der Außen- und Europapolitik jedoch wird vor allem eines deutlich: ein neues Leitbild mit einem neuen Tonfall. 

Der gesellschaftspolitische Liberalismus, der alle drei Parteien eint, kündigt einen Neustart in puncto Menschenrechten und Sicherheitspolitik an: Die Außenpolitik der Ampel soll feministisch sein, zivile Krisenprävention gestärkt werden und Deutschland als Beobachter dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. 

Auch in der Europapolitik finden sich mutige Initiativen: Transnationale Listen und ein verbindliches Spitzenkandidat*innensystem für das Europäische Parlament sollen möglichst durch Vertragsänderungen beschlossen werden, die Konferenz zur Zukunft Europas soll die EU perspektivisch in einen “föderalen europäischen Bundesstaat” verwandeln. In der EU-Außenpolitik soll das Einstimmigkeitsprinzip fallen und die EU soll eine*n “echte*n Außenminister*in” mit mehr Kompetenzen erhalten, um global mit einer Stimme zu sprechen. 

Papier ist geduldig – wie wir als junge Generation der Außen- und Europapolitik-Expert*innen nur allzu gut wissen. Daher dürfen wir gespannt sein, wie die Ampel-Koalition ihre Vorhaben konkret umsetzen wird. Polis180 wird auch weiterhin daran mitwirken, die besten Ideen und Lösungen für die deutsche Außen- und Europapolitik zu entwickeln. 

 

Programm Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Wenn es um die Zukunft deutscher Sicherheitspolitik geht, lässt der Koalitionsvertrag keinen Zweifel an der weiterhin tragenden Rolle der NATO als „unverzichtbarem Fundament unserer Sicherheit“. Hier fällt die Charakterisierung der eigenen Position als “verlässlicher Partner” auf, was gerade für die Bündnisverteidigung zu Gunsten mittel- und osteuropäischer Verbündeter von zentraler Bedeutung ist.

Anstelle des “Bekenntnis zu 2 Prozent”, wird die Idee einer Investitionsquote in Höhe von drei Prozent des BIP in „internationales Handeln“ skizziert, inkl. Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit. Die Koalitionsparteien bekennen sich darüber hinaus zur nuklearen Abschreckung, unterstützen den an (inter-)nationale Gesetzgebung geknüpften Einsatz von bewaffneten Kampfdrohnen und lehnen letal-autonome Waffensysteme ab.

Auch wenn der Koalitionsvertrag somit erste Ansatzpunkte für sicherheitspolitische Investitionsvorhaben und erhöhtes Verantwortungsbewusstsein bietet, bedarf es hinsichtlich realitätsorientierter Einschätzungen einer genauen Analyse des später zu veröffentlichenden Budgets. Gerade wenn es um die praktische (Um-)Gestaltung nuklearer Teilhabe geht, muss auch die konkrete Gestaltung verteidigungs- und sicherheitspolitischer Projekte wie etwa FCAS reflektiert werden.

 

Programm Europäische Wirtschaftspolitik

Trotz sozial-ökologisch progressiver Ideen erscheint der Koalitionsvertrag wirtschaftspolitisch an vielen Stellen nur unzureichend europäisch und multilateral gedacht – ein Regierungsprogramm mit Stärken und Schwächen. Einerseits lassen Mindestlohnerhöhung, Start Up-Förderung, staatliche Entbürokratisierung und Digitalisierung sowie eine grüne Transformation der deutschen Wirtschaft auf langersehnte Reformen hoffen. Andererseits lässt der Koalitionsvertrag angesichts der Schuldenbremse und des Versprechens ausbleibender Steuererhöhungen Fragen zur Finanzierung zahlreicher kostspieliger Vorhaben offen.

Einer der Knackpunkte dürfte gerade die fiskalpolitische Ausrichtung der EU werden. Während Frankreich und südeuropäische Mitgliedstaaten seit Jahren auf eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts drängen, warnen nord-westeuropäische EU-Staaten vor dessen Aufweichung. Der Interessenkonflikt zwischen sozialdemokratischer und liberaler Wirtschaftspolitik lässt sich auch unter den Ampelparteien wiederfinden. Im Vertrag konnte man sich daher zunächst nur auf eine vage „Weiterentwicklung“ des Stabilitätspakts einigen. 

Fazit: Auch wenn sich die ökonomische Koalitionsfähigkeit der Ampelparteien erst noch unter Beweis stellen muss, verspricht der Koalitionsvertrag einen zeitgemäßen sozial-ökologischen Reformkurs, der Deutschlands Wirtschaft neuen Schwung verleihen kann.

 

Programm De_Constructing Development 

Wir begrüßen, dass die neue Bundesregierung ihr entwicklungspolitisches Engagement auf multilateraler Ebene deutlich stärken will, Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Freiheiten als Kriterien nennt, die digitale Souveränität ihrer Partner fördern will und, beispielsweise mit Klima- und Energiepartnerschaften, Bezug auf klimabedingte Herausforderungen nimmt. 

Positiv ist auch die Ankündigung eines Gender-Aktionsplans; ein klares Bekenntnis zur Umsetzung der LSBTI-Inklusionsstrategie bleibt aber aus. Wir vermissen zudem eine Befürwortung der Patentfreigabe für Covid-Impfstoffe; eine bloße Unterstützung von COVAX halten wir für unzureichend. 

In den genannten Vorhaben erkennen wir insgesamt das Bestreben, Entwicklungszusammenarbeit nachhaltiger und ganzheitlicher zu gestalten, sowie mit den Partnerländern mehr auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. So soll der Einfluss Europäischer Agrarexporte und des Finanzmarkthandels auf die jeweiligen Märkte begrenzt werden, und damit ein Beitrag zu Ernährungssicherheit geleistet werden. Außerdem soll der Zugang zu sauberem Trinkwasser verbessert werden. Weitere Initiativen und Anliegen sind das EU-Lieferkettengesetz, der Einsatz für faire Löhne, Bewusstsein für klimabedingte Schäden, die Förderung von Kreislaufwirtschaft und globale Ressourcengerechtigkeit. Offen bleibt bei vielen Vorhaben die Finanzierung. Es gilt abzuwarten, wie diese Ankündigungen in die Praxis umgesetzt werden (können).

 

Programm Digitalisierung und Cybersicherheit

Die neue Bundesregierung misst der Digitalisierung einen erheblichen Stellenwert zu allerdings vornehmlich in Bezug auf innenpolitische Herausforderungen. Im Bereich der Außen- und Europapolitik werden zwar wichtige Themen benannt, wie etwa die strategische Souveränität Europas vor dem Hintergrund digitaler Technologien, die Gestaltung einer kohärenten digitalen Außenpolitik mit europäischen Partnern oder die cybersicherheitspolitische Befähigung der Bundeswehr, die inhaltliche Unterfütterung bleibt aber vergleichsweise unspezifisch.

Zweifellos wird die Digitalisierung in den kommenden Jahren auch in der Außenpolitik eine große Rolle spielen. Dass sich dieser Umstand nicht explizit bzw. nur ausschnittsweise im Koalitionsvertrag wiederfindet, ist sicherlich der querschnittlichen Gestalt des Politikfeldes geschuldet Digitalisierung muss schließlich überall mitgedacht werden und kein konkretes Versäumnis der Ampel-Koalition.

 

Programm Gender und Internationale Politik 

Mit dem Ampel-Koalitionsvertrag kommt die erste offizielle Erwähnung einer feministischen Außenpolitik in der deutschen Bundespolitik. Die Umsetzung wird als Stärkung von Repräsentanz, Rechten und Ressourcen von Frauen, die Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplan zu VN-Resolution 1325 sowie die Entwicklung einer VN-Konvention zu LGBTQI+-Rechten umrissen. Dieses Bekenntnis ist ein großer Erfolg. Es wird sich zeigen, ob auch der Abbau struktureller Ungleichheiten verfolgt wird und außenpolitische Ziele durch feministische Ansätze im Inneren unterstützt werden.

Auf aktuelle Entwicklungen in Europa antworten die Partner mit dem Bekenntnis, sich für die Ratifizierung und Umsetzung der Istanbul Konvention einzusetzen eine Antwort auf die Schwächung der Konvention durch Anti-Gender Bewegungen in der Türkei oder Polen. Bemühungen um einen Beitritt der EU zur Konvention sind nicht enthalten.

Positive nationale Errungenschaften, wie die Abschaffung des §219a über das Verbot von Werbung für Schwangerschaftsabbrüche, zeigen sich auch international: Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sollen sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte von Frauen und Mädchen gestärkt werden.

 

Programm Klima und Energie 

Die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft und klimaneutralen Wirtschaft erfordert weltweit Veränderungen. Nationenübergreifende Lösungen sind daher ein Schlüssel zu ressourcensparendem und schnellem Erfolg. So ist es ein Grund zur Freude, dass Klimapolitik erstmals zu einem zentralen Bestandteil der deutschen Außenpolitik wird.

Im Zentrum der neuen Klimaaußenpolitik stehen kooperative Formate wie Klimapartnerschaften und ein Klimaclub ambitionierter Länder. Sie können die Transformation des globalen Wirtschaftssystems erleichtern und bieten wirtschaftliche Vorteile für alle Beteiligten. Allerdings verpasst Deutschland als einer der Hauptverursacher der Klimakrise die Chance, darüber hinaus die Initiative zu ergreifen. So finden sich kaum Hinweise darauf, dass die deutsche Regierung die Energiewende im globalen Süden über zusätzliche Finanzierungswerkzeuge und Wissens- und Technologietransfers in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren beschleunigen wird. Deutschland hat hier jedoch eine besondere Verantwortung und sollte Klima- und Energiegerechtigkeit als Leitprinzip seiner Klimaaußenpolitik stärken.

Desweiteren fällt auf, dass anvisierte Maßnahmen gegen die Klimakrise primär national statt europäisch gedacht werden. Die zukünftige Bundesregierung bekennt sich zwar zum Fit For 55 Paket der EU, allerdings scheint sie kaum die Absicht zu haben, das Paket in den kommenden EU-Verhandlungen weiterzuentwickeln. Größere Ambitionen böten hier die Chance, auch in anderen europäischen Ländern weitere Fortschritte beim Klimaschutz zu erzielen.

 

Programm Kulturpolitik

Auf knapp fünf Seiten (zum Vergleich 2018: 10) skizzieren die Ampel-Parteien ihre Visionen für die Kulturpolitik der kommenden vier Jahre. Enttäuscht wurden die Hoffnungen jener, die auf die Gründung eines eigenen Bundeskulturministeriums gesetzt hatten. Als neue Staatsministerin für Kultur und Medien ist nun Claudia Roth (die Grünen) angetreten, die durch die Corona-Pandemie weiterhin massiv gebeutelte Kultur- und Kreativwirtschaft zu stärken. Auf die soziale Lage von Künstler:innen und Kreativen wird auch sichtbar eingegangen: Durch die Fortführung des Förderprogramms Neustart Kultur, durch die bessere soziale Absicherung von Soloselbstständigen und durch den finanziellen Ausbau der Künstlersozialkasse.

Kultur soll nahbarer sein und freie Orte der Kultur in all ihrer Vielfalt (wie bspw. Clubs und Gaming) gefördert werden. Wie konkret kulturelle und soziale Teilhabe gestärkt werden sollen, ist jedoch nicht unmittelbar im Kapitel “Kultur” erkennbar. Der Koalitionsvertrag bietet allerdings u.a. in den Kapiteln “Lebendige Demokratie” und “Digitale Infrastruktur” Formulierungen zur Teilhabe, die auch für die Kultur anschlussfähig sind. Positiv hervorzuheben ist auch, dass öffentliche Bibliotheken als Dritte Orte für die gesamte Gesellschaft und wichtige Infrastruktur in den Städten und Gemeinden gestärkt werden sollen. 

Hervor sticht auch, dass Kultur “in ihrer Vielfalt als Staatsziel” verankert werden soll – was das konkret in der Umsetzung bedeutet, bleibt allerdings offen. Auch die Bekenntnisse zur Stärkung der Erinnerungskultur und der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gehen nicht weit über die vergangene Legislaturperiode hinaus. Umstrittene Themen wie das Humboldt-Forum werden unkontrovers kurz genannt, die angekündigte Rückgabe der Benin-Bronzen ab 2022 wird nicht erwähnt.

Es bleibt der Eindruck, dass man allgemein viel will, die Umsetzung der Visionen aber schwer erkennbar ist. Dennoch wird die Bedeutung von Kultur und kultureller Begegnung auf nationaler und internationaler Ebene für eine vielfältige und demokratische Gesellschaft deutlich hervorgehoben und das begrüßen wir sehr. 

 

Programm Migration

Polis180 begrüßt den von der neuen Koalition angekündigten Paradigmenwechsel im Bereich Migration, der mit einem neuen Verständnis Deutschlands als „Einwanderungsgesellschaft“ die Achtung der Menschenrechte, die Genfer Konvention und das Europarecht in den Mittelpunkt der Ambitionen der nächsten Legislaturperiode stellt.  

Die Modernisierung und Vereinfachung der Verfahren für Visa- und Asylanträge sind mehr als ein positives Signal und stellen deutliche Fortschritte in der deutschen Migrationspolitik dar. Dabei sollen Familiennachzüge und Bleiberechtsregelungen erleichtert und Arbeitsverbote für Geduldete abgeschafft werden. Weitere Reformen umfassen die doppelte Staatsbürgerschaft, kürzere Einbürgerungsverfahren und die Einführung einer „Chancenkarte“ zur Förderung der Fachkräfteeinwanderung.

Einige Punkte bleiben dennoch offen bzw. brauchen Konkretisierung. Obwohl AnkER-Zentren nicht weiterverfolgt werden sollen, wird die Verbleibedauer in den sog. Erstaufnahmeeinrichtungen nicht abgesenkt. Auf EU-Ebene soll weiterhin geklärt werden, inwiefern eine differenzierte und faire Verteilung von Schutzsuchenden zwischen (aufnahmebereiten) Mitgliedsstaaten gefördert werden kann. 

EU-Verhandlungen für eine staatlich finanzierte Seenotrettung  wie von der Koalition vorgeschlagen  könnten herausfordernd sein. Die Weiterentwicklung des Mandates der EU-Grenzschutzagentur Frontex in diesem Sinne ist angesichts vergangener illegaler Push-Backs und Verstöße gegen die Menschenrechte unter Vorbehalt zu berücksichtigen.

 

Programm Peace & Conflict

Die neue Regierung bestätigt die deutsche Teilhabe am europäischen Frieden und der Konfliktvermeidung, und betont die europäische Einigung als gemeinsame Grundlage für eine handlungsfähige EU. Des Weiteren plädiert sie für Abrüstung und drückt u.a. aus, dass Deutschland „als Beobachter (nicht als Mitglied) bei der Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrages die Intention des Vertrages konstruktiv begleiten” wird. 

Zudem verschreibt sie sich dem Ziel eines “Deutschlands, frei von Atomwaffen”. Somit wird Deutschland nach Norwegen der zweite NATO-Staat und das erste Land, in dem Atomwaffen stationiert sind, welches die Staatenkonferenz beobachtet. 

Deutschland soll zudem dem European Institute of Peace beitreten.

 

Programm Religion und Außenpolitik

Der Bereich Religion und Außenpolitik soll im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) verstärkt werden. Diese Erwähnung begrüßen wir, jedoch sollte Religion als Querschnittsthema verstanden werden, das viele Bereiche der Außenpolitik betrifft und nicht nur die AKBP. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit wird die Förderung von Kirchen in der Zivilgesellschaft betont. Es ist nicht ersichtlich, ob hier die Förderung als Teil der lokalen Zivilgesellschaft gemeint ist, oder ob die Arbeit der deutschen Auslandskirchen in fragilen Kontexten gefördert werden soll. 

Sollte ersteres zutreffen, wünschen wir uns die allgemeine Anerkennung von verschiedenen Religionsgemeinschaften als wichtige Teile der Zivilgesellschaft. Im zweiten Falle sollte auch die Arbeit anderer Religionsgemeinschaften aus Deutschland, die sich im Ausland der EZ widmen, gefördert werden. Insgesamt fehlt eine klare Positionierung bezüglich religiösen Akteuren als potenzielle Partner der Außenpolitik, da Religionsgemeinschaften eine hohes gesellschaftliches Wirkungspotenzial haben und die Lebensrealität vieler Menschen prägen.

 

Programm connecting_Asia 

Die Bundesregierung steht im Umgang mit der Volksrepublik China augenscheinlich vor einem Scheideweg. Ein erster, sinnvoller Schritt ist das Bekenntnis zu mehr China-Kompetenz im Koalitionsvertrag, welches aber auch in die Tat umgesetzt werden muss. Eine bloße Erwähnung kritikwürdiger Themengebiete im Zusammenhang mit China ist – bei gleichbleibendem Import von Produkten aus Zwangsarbeit – nicht genügend.

Auch im Umgang mit Japan sucht die Bundesregierung neue Wege. Tokyo und Berlin verbindet eine Wertegemeinschaft. Darauf will man mit regelmäßigen Regierungskonsultationen aufbauen. Der Vorschlag ist unerwartet konkret, unterstreicht aber die wachsende Bedeutung des Indopazifiks in der deutschen Außenpolitik. Hier wird es darauf ankommen, auch weitere Partnerschaften konkret politisch auszugestalten. 

Kooperationsziele in Bezug auf Indien, mehr noch aber in Bezug auf die Staaten der ASEAN-Gruppe, bleiben abseits von Handel und Wirtschaft vage. Der Koalitionsvertrag denkt sinnvollerweise deutsche und europäische Strategien zusammen – dies kann aber kein Ersatz für eigene Impulse der Bundesregierung sein.

 

Programm The America(n)s

Generell spricht sich die neue Regierung im Koalitionsvertrag deutlich für eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen aus. Dafür soll vor allem mit der Biden-Administration kooperiert werden und auf ein Fundament von gemeinsamen Werten in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik zurückgegriffen werden. 

Im Bereich Handel beispielsweise wird eine bessere Abstimmung mit der US-Regierung hinsichtlich von Umwelt- und Sozialstandards innerhalb des transatlantischen Handelsraumes angestrebt. Die Einführung von nachhaltigen Richtlinien kann allein durch die Größe des Handelsvolumens einen globalen Effekt nach sich ziehen. 

Auch im sicherheitspolitischen Bereich, insbesondere bei Anliegen der NATO, versprechen die Koalitionär*innen eine engere Partnerschaft mit der US-Regierung. Konkrete Ankündigungen in Bezug auf die US-Forderung, das 2 Prozent Ziel der NATO einzuhalten, fehlen. 

Durch alle Politikfelder zieht sich das Interesse, die transatlantischen Beziehungen wieder zu “dynamisieren”. Dies wird immer wieder mit Bezugnahme auf die aktuelle Biden-Administration angekündigt. Wie die transatlantischen Beziehungen im Falle eines Regierungswechsels in den USA aussehen könnten, bleibt aber ungewiss.  

 

Programm Perspektive Ost

Wir begrüßen, dass sich auch die neue Bundesregierung zur EU-Beitrittsperspektive der Westbalkanstaaten bekennt. Allerdings fehlt es an konkreten Ideen, wie der Beitrittsprozess effektiver gestaltet werden kann. Hier vermissen wir vor allem eine klare Haltung gegen autoritäre und separatistische Regierungen sowie ein Bekenntnis zur Zusammenarbeit mit demokratischen Akteur*innen.

Dass die Beziehungen zu den Ländern der Östlichen Partnerschaft im Vertrag noch vor Russland genannt werden und hier der Zivilgesellschaft Unterstützung zugesagt wird, ist ein gutes Zeichen. Auch begrüßen wir die deutlich differenziertere Russlandpolitik, die Russland eben nicht nur als Partner, sondern auch als destruktiven Akteur begreift. Allerdings werden auch hier keine konkreten Ansätze benannt und die wirtschaftlichen Interessen scheinen in einem absehbaren Zielkonflikt mit der erklärten wertebasierten Außenpolitik zu stehen. 

Die Ansätze, dem Rechtsstaats- und Demokratieabbau in der EU Einhalt zu gebieten, sind gut, auch wenn die Koalition davor zurückschreckt, die Missstände in Ländern wie Polen und Ungarn explizit anzusprechen. Entsprechend fehlen hier überzeugende bilaterale Strategien für den Umgang mit illiberalen Regierungen.

Insgesamt sehen wir einen großen Fortschritt gegenüber vorherigen Bundesregierungen. Es fehlen jedoch nach wie vor die Ideen und die nötigen Ambitionen, den Anspruch einer wertebasierten Außenpolitik auch in Bezug auf Osteuropa zu verwirklichen.

 

Programm WANA, Sahel and Beyond

Anders als noch im Sondierungspapier sowie in den Koalitionsverträgen der letzten Regierungen, scheint das neue Bündnis die immer stärker wachsende Rolle des afrikanischen Kontinents und der westasiatischen Region erstmals anzuerkennen. Gerade der neue Fokus und die explizite Hervorhebung der kritischen Sahelregion ist begrüßenswert, da bisher das tatsächliche Engagement der Bundesregierung in der Region (bis auf Mali) vielen Problemen, aber auch Chancen aus dem Weg ging. 

Dennoch fällt auf, dass das grundsätzliche Narrativ ein “weiter so” ist: Wirtschaftliche und sicherheitspolitische Strukturen, die bereits bestehen wie G20 Compact with Africa oder die Koalition für den Sahel sollen zwar ausgebaut und weiterhin unterstützt werden, grundlegende Neuerungen wurden jedoch nicht angekündigt. Die Haltung der neuen Bundesregierung bleibt wie die bereits nicht existente Afrikapolitik der letzten Jahrzehnte also weiterhin vage und Hoffnungen auf einen außenpolitischen Schwerpunkt scheinen erneut enttäuscht zu werden.

Ähnliche Akzente lassen sich in Bezug auf Westasien wiederfinden, hier jedoch mit einem großen Fokus auf die Stärkung von Menschenrechten und den Rechten von religiösen und ethnischen Minderheiten sowie auf Frauenrechte, was zu begrüßen ist und sich eindeutig positiv von vorherigen Koalitionsverträgen abhebt. In diesem Kontext ist insbesondere die humanitäre Erwähnung Afghanistans interessant, während jedoch keine neuen sicherheitspolitischen Bestrebungen erwähnt werden. 

Wie zu erwarten, wird die Sicherheit Israels weiterhin als Staatsräson angesehen, während eine produktive Zusammenarbeit mit Palästina hinter diesem Verhältnis zurückbleibt. In Bezug auf Iran wird an dem JCPoA festgehalten, insgesamt scheinen sicherheitspolitische Aspekte im neuen Koalitionsvertrag jedoch von einer humanitär-werteorientierten Außenpolitik ersetzt zu werden. Die Chance einer neuen Akzentuierung und Hervorhebung dieser wichtigen Region in der deutschen Außenpolitik scheint der Koalitionsvertrag jedoch insgesamt aber verpasst zu haben.

 

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Image source via pixabay

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